Die offizielle Homepage von

Carolin Philipps

Prix farniente ( Belgien), Friedrich-Bödecker-Preis,
Unicef Preis für Frieden und Toleranz, Österreichischer Jugendbuchpreis, Schweizer Bookstar Award, Annaliese-Wagner Preis
Auswahlliste deutscher Jugendbuchpreis,
Auswahlliste katholische Bischofskonferenz

Kontakt

Carolin Philipps/bluesparrow PR
Chodowieckistraße 27, 10405 Berlin
carolin@carolinphilipps.de

Presse

contact@bluesparrow.de
T +49-30-240 84 854


Bücher

Made in Vietnam

ISBN 978-3-8000-5421-3

Januar 2009 bei Ueberreuter

Made in Vietnam

Die 14-Jährige Lan schuftet unter unmenschlichen Bedingungen in einer Fabrik in Vietnam, die trendige Sportschuhe herstellt. Lan muss durchhalten, denn der Lohn sichert ihrer Familie das Überleben. Doch dann erhält sie unerwartet Hilfe von der Tochter eines deutschen Arbeitsinspektors und dem Vater des Fabrikbesitzers…

Einschlafen verboten!

Lan zuckt vor Schmerz zusammen, als sie den Schlag auf ihrem Rücken spürt. Erschrocken fährt sie hoch und sieht die mitleidigen Blicke ihrer Arbeitskolleginnen. Sie alle wissen, was jetzt passieren wird, denn es gibt nur wenige unter ihnen, die es noch nicht erwischt hat…

So wie Lan, der Hauptperson in meinem Buch Made in Vietnam, geht es täglich Tausenden Jugendlichen, die in einer der vielen Schuhfabriken im Süden Vietnams Markenturnschuhe für die Käufer in Europa und Amerika herstellen.
Eingeschlossen hinter Stacheldraht leben die zumeist jungen Mädchen und Frauen, vielfach jünger als 14 Jahre, mit bis zu 30 anderen in einem Raum, Schränke gibt es nicht, nur ein Bett, auf das sie nach Beendigung der Schicht todmüde fallen und sofort einschlafen. Nach nur wenigen Stunden beginnt die nächste Schicht.
Die Mädchen sind aus allen Teilen des Landes zum Arbeiten in den Süden gekommen. Einen Pass besitzen die meisten nicht, sie sind froh, überhaupt eine Arbeit bekommen zu haben, mit der sie ihre Familie zu Hause ernähren können. Zwischen 20 und 40 Euro im Monat bekommen die Arbeiterin an Lohn – zu wenig um regelmäßig nach Hause zu fahren. Ihre Familien sehen sie oft monate- manchmal jahrelang nicht. Außerdem: Urlaub gibt es nicht.

Ein weiteres Mal schlägt die Aufseherin zu. Lan krallt ihre Hände in das Leder des Sportschuhs, der vor ihr auf dem Tisch steht. Die Tränen schießen ihr in die Augen...

Fast zehn Stunden täglich arbeiten die Mädchen in der Fabrik, einmal pro Schicht dürfen sie auf die Toilette gehen. Unbezahlte Überstunden sind die Regel, auch nachts und am Wochenende wird oft gearbeitet, damit die Schuhe pünktlich fertig werden. Die Hitze in der Halle ist unerträglich, der Klebstoff, mit dem sie die Sohlen zusammenkleben, verursacht Übelkeit.  Gesetzliche Vorschriften über maximale Arbeitszeiten, regelmäßige Pausen und die Sicherheit am Arbeitsplatz werden nicht eingehalten.
Ab und zu berichten die Medien von Arbeitern in Vietnam, die für mehr Lohn und für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Aber das sind Ausnahmen. Statt mehr Lohn zu bekommen, riskieren sie die sofortige Entlassung oder die Schließung der Fabrik. Und immerhin verdienen sie ja Geld, wenn auch nur wenig. Daher beißen sie die Zähne zusammen und halten durch, solange es geht.
Manchmal wird in der internationalen Presse über die Zustände berichtet. Dann versprechen die großen internationalen Konzerne immer eine Verbesserung der Bedingungen, aber ohne eine wirksame Kontrolle, ob dies auch geschieht, ändert sich meist nichts. Oft sind es auch die kleinen Zulieferfirmen, die überhaupt nicht kontrolliert werden, in denen die Arbeitsbedingungen noch katastrophaler sind.
Immer wieder schläft eines der Mädchen vor Erschöpfung ein und wird dann von der Aufseherin bestraft. So wie Lan in meinem Buch: „Augen auf!“ kommandiert die Aufseherin und Lan reißt ihre Augen auf, so weit sie kann. Je weiter sie die Augen selber öffnet, desto weniger tut es weh, haben ihr die anderen gesagt. Für Lan ist es das erste Mal und das ist immer am schlimmsten. Die Aufseherin nimmt  aus ihrer Kitteltasche eine Schachtel mit Streichhölzern, holt eins heraus und bricht es in zwei Hälften. Sie schiebt die eine Streichholzhälfte unter Lans geöffnetes Augenlid und piekst dann das andere Ende unterhalb des Auges in die Haut. Das Gleiche macht sie mit dem rechten Auge. Lans Augen tränen vor Schmerz und hilfloser Wut…
?Woher ich das alles weiß? Vor einigen Monaten war ich mit meinem Sohn mit dem Auto im Süden Vietnams unterwegs. Wir fuhren durch kleine Dörfer, an Reisfeldern, Wasserbüffeln und arbeitenden Bauern vorbei. Vietnam, so wie man es sich vorstellt. Plötzlich hörten die Reisfelder auf. Wir sahen graue Hallen, umgeben von Mauern und Stacheldraht, am Eingangstor uniformierte Wachen. Ein Gefängnis dachten wir im ersten Moment. Unter den Bäumen vor dem Tor saßen im Schatten junge Mädchen, 12, 13, 14 Jahre alt. Wir hielten an und fragten sie. Es war kein Gefängnis, sondern nur eine Fabrik, in der Sportschuhe hergestellt werden. Die Mädchen warteten darauf, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Alle bis auf eine, die blass und mit verweinten Augen da saß. „Sie ist entlassen worden“, erklärte man uns. „Sie ist bei der Arbeit eingeschlafen.“ Das Mädchen hat uns dann seine Geschichte erzählt. Einige Tage später konnten wir auch noch mit anderen sprechen, die immer noch in der Fabrik arbeiten.
„Schreib es auf!“ haben sie gesagt. „ Je mehr Menschen von uns erfahren, desto größer ist unsere Hoffnung, dass sich vielleicht etwas ändert.“ Ich habe nun wie versprochen das Buch geschrieben. Die Namen habe ich geändert, ich möchte niemanden gefährden.
Ob sich aber tatsächlich etwas ändert, weiß ich nicht. Mit Buchstaben kann man die Welt schließlich nicht verändern, nicht einmal ein kleines Stück.

Oder vielleicht doch?